Wie sind die Nach- bzw. Familiennamen entstanden?

Namenzusätze, Beinamen

Heute ist es in fast allen Ländern Vorschrift, wenigstens zwei Namen zu tragen: Vor- und Familiennamen. In Japan wurde dies erst 1875, in Bulgarien 1878, in der Türkei 1934, in Ägypten in den 50er Jahren Gesetz.
Jahrtausende aber trug man bei den Germanen und anderen Völkern nur einen Namen: Wulfila, Moses, Platon.
Ausnahme sind die Römer mit ihrem Drei-Namen-System: Quintus Horatius Flaccus (der Fünfte, aus der Sippe der Horatier, der Blonde) = Rufname + Sippenname + Beiname.
ln manchen Situationen wurden einnamige Personen freilich schon immer durch Zusätze bes. gekennzeichnet, etwa zur Auszeichnung (Karl der Große), zur Unterscheidung (Pippin der Ältere / Jüngere), zur Charakterisiernng (Ludwig der Fromme), um Verbundenheit mit anderen Personen auszudrücken (Hrabanus Maurus nach seinem Vorbild, dem heiligen Maurus). Solche Zusätze können je nach Anlaß wechseln.
Wenn ein solcher Zusatz nicht nur gelegentlich (okkasioneller Zusatz), sondern mehr oder weniger regelmäßig zur Kennzeichnung einer Person verwendet wird, bezeichnet man ihn als Beinamen.

Übergang zur Zweinamigkeit

In Urkunden und anderen Quellen läßt sich seit Anfang des 12. Jh. eine verstärkte, dann zunehmend regelmäßige Personenbezeichnung mit Ruf- und Beinamen beobachten. Dabei wird oft der Beiname ausdrücklich als solcher gekennzeichnet: Giselber genant Obezer ('Obstbauer'), statt »genannt« oft auch »heisseddictus/cognomine« u. ä. Damit beginnt der entscheidendste Einschnitt unserer Namengeschichte: der Übergang von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit.
Natürlich waren Beinamen schon vorher beliebt. Viele altüberlieferte Namen lassen sich nur als Beinamen verstehen: Burgio 'der Bürge', Krispo 'der Krauskopf' oder in einer röm. Inschrift des 2. Jh. n. Chr. der Frauenname Strubil und auf Keramikscherben der Töpfer Strobil (Strubelkopf, vgl. Familiennamen wie Strobel, Straub, Struve). Sie verdrängten den urspr. Rufnamen, etwa wenn ein Dietmar wegen seiner Herkunft nur noch Friso '(der) Friese' gerufen wurde.
Solange der Beiname aber nicht zusätzlich, sondern anstatt des Rufnamens auftritt, befinden wir uns noch in der Epoche der Einnamigkeit.
Ab dem Jahr 1000 setzen vereinzelt zweinamige Einträge in Urkunden der Stadt Zürich ein, daneben halten sich einnamige bis 1150/70, danach finden sich nur noch zweinamige.
Nach 1350 war Zweinamigkeit in den Städten so üblich, daß das Fehlen eines Beinamens selbst zum Beinamen werden konnte: Heinrich ane czunamen 'H. ohne Beinamen' 1361 Breslau.

Entstehung der Familiennamen

Die Entwicklung führt nun aus dem Nebeneinander versch. okkasioneller Zusätze über rel. beständige Beinamen schließlich zu den Familiennamen.
Ein Familienname entsteht, wenn der Beiname einer Person auf deren Nachkommen vererbt wird.
Im meistbenutzten lat.-dt. Wörterbuch des MA, dem "Vokabularius Ex quo", wird der Beiname quasi als »gemeinsamer Name der ganzen Verwandtschaft« definiert (»cognomen: zuname, quasi commune nomen totius parentelae«).
Die wichtigsten Kriterien für die Feststellung, ob in einer mittelalterlichen Quelle noch ein Beiname oder schon ein Familienname vorliegt, sind:
  1. Die Vererbung ist mehrere Generationen nachweisbar. Unsicherheit besteht hier v. a., weil auch Bernfe oder Wohnstätten vererbbar sind und entsprechende Beinamen bei Vater und Sohn jeweils neu entstehen können.
  2. Geschwister tragen denselben Namen: Hermann und Josepb genant Keyser.
  3. Der Name paßt inhaltlich nicht zur betreffenden Person:
    Thewes Einarm hat zwei Arme, Fritscbe genant Hamburger war nie in Hamburg. In Bürgerbüchern, die meist den Beruf mit angeben, kann man verfolgen, wie Namen nach Berufen und die tatsächlichen Berufe der Betreffenden immer häufiger voneinander abweichen, z. B. Herman Pfannensmit der garnzuger ('Garnzieher'). In vielen dieser Fälle müssen ererbte Familiennamen vorliegen.
  4. Sehr unsicher, aber je nach Quellenbeschaffenheit mitzuberücksichtigen, sind sprachliche Kriterien, so der Wegfall von Verbindungsgliedern zwischen Rufnamen und Beinamen:
    Hennieh Kotzhusen statt Hennieh von Kotzhusen, Witche Schenke statt Witche derlgenant Schenke, Johan Dietrich statt Johan Dietrichs sun ('Sohn'); aber oft tritt derselbe Name mal mit, mal ohne Bindeglied auf
.

Die Zweinamigkeit wurde zur genaueren Kennzeichnung der Individuen nötig.
  1. Immer mehr Menschen trugen denselben Rufnamen, da sich die Bandbreite der germ. Rufnamen verringert hatte und die christl. Namen als Ersatz nicht ausreichten. Auch der Brauch der Nachbenennung erhöhte die Zahl gleichnamiger Personen.
    In einer Zürcher Urkunde treten z. B. 9 verschiedene Personen namens Rudolf auf, die durch nachträglich übergeschriebene Beinamen unterschieden werden mußten.
  2. In den Städten konzentrierten sich immer mehr Einwohner auf engem Raum; um 1400 haben Lübeck, Hamburg, Frankfurt/M., Nürnberg, Regensburg, Augsburg, Ulm, Straßburg, Zürich ca. 20000 Einwohner, Köln 30000. Dies und auch die zunehmende Mobilität, bes. im Handel, erforderte klare Unterscheidung gleichnamiger Personen.
  3. Die im Spätmittelalter rapide zunehmende schriftliche Verwaltung mit Bürgerverzeichnissen, Urkunden usw. erforderte exakte Personenidentifizierung: »Es klager Heiny Heber der pfister ('Bäcker') zum Holder (Hausname) uff Hansen Koffel genant Beck der Pfister . . . «
Die Familiennamen haben sich aus der allgemein nötig gewordenen Zweinamigkeit speziell aus folgenden Gründen entwickelt:
  1. Erbansprüche auf Besitz, Beruf usw, lassen sich durch einen vererbten Namen ausdrücken. Dies war für den Adel vorrangig, seit 1037 KONRAD II. die Erblichkeit der Lehen zugestanden hatte. So finden sich erste dt. Familiennamen gegen Ende des 10. Jh. beim Adel. Auch bei Bürgern beinhaltete der Familienname soziales Prestige, indem er die Zugehörigkeit zur Schicht der Besitzenden anzeigte und sie von Knechten und anderen, die nur Rufnamen trugen, abgrenzte.
  2. 2. Die Entwicklung dürfte auch, wie eine Mode, von den roman. Nachbarländern mitbeeinflußtworden sein.
    Beinamen/Familiennamen kommen im 9. Jh. zuerst in Venedig auf, dessen pol. Struktur die Registrierung vieler amtierender Personen verlangte; sie verbreiten sich dann im 10. Jh. in Norditalien und Südfrankreich, im 11. Jh. in Katalonien, Nordfrankreich (von hier aus im 12. Jh. in England) und der roman. Schweiz und seit dem 12. Jh, in west- und süddt. Städten.
  3. 3. Familiennamen sind bestens geeignet, genealog. Zusammenhänge bes. zu Verwaltungszwecken durchschaubar zu machen. Daher wurden sie später behördlich vorgeschrieben.
Weil durch die Kombination von Ruf- und Familiennamen in einem Gesamtnamen die Möglichkeit potenziert wurde, Menschen zu unterscheiden und gleichzeitig die familiäre Zusammengehörigkeit anzuzeigen, hat sich diese höchst rationelle Kombination weltweit durchgesetzt.

Ausbreitung der Zweinamigkeit
Aus den genannten Gründen lassen sich anfangs feste Beinamen und Familiennamen schwer unterscheiden. Daher kann man keine präzisen Angaben über die zeitliche und räumliche Ausbreitung der Familiennamen, wohl aber über die der Zweinamigkeit geben. Trotz vieler Unsicherheiten läßt sich insgesamt sagen, daß die Zweinamigkeit (und in ihrer Folge der Brauch, Familiennamen zu führen) im Schrifttum süd- und westdt. Städte Anfang 12. Jh. sichtbar wird, dort im 13. Jh. zur Massenerscheinung anwächst, nach Norden und Osten fortschreitet und Anfang 15. Jh. im wesentlichen vollzogen ist.
Natürlich verlaufen solche Entwicklungen nicht einsträngig. Kaiserslautern und Saarbrücken z. B. folgen 2-3 Generationen nach Worms oder Speyer. Unterschiedlich verläuft der Prozeß auch in großen und kleinen Städten oder gar auf dem Lande. Auch die sozialen Gruppen verhalten sich unterschiedlich. Vorreiter ist seit dem 10. Jh. der Adel, es folgen Ministerialen, Patrizier, Kleinbürger, Bauern.
Einschätzung der Familiennamen Lange Zeit wurde den Familiennamen geringeres Gewicht beigemessen als den Rufnamen. Dafür sprechen folgende Indizien:
Amtliche Durchsetzung Die Familiennamen besaßen lange Zeit nur eine relative Festigkeit; sie haben oft bei einer Familie gewechselt.
Adlige konnten nach ihren Besitzungen unterschiedlich heißen, z. B. Zeno von Büh/Zeno von Bottingen; die Grafen von Wittelsbach hießen vorher von Scheyern.
Auch Bürgerliche trugen manchmal konkurrierende Namen (»Hainrich Jäger, den man nennt Spät«) oder nannten sich um.
Bei Bauern wechselte der Familienname oft mit dem bewirtschafteten Hof: Heirat oder ein neuer Beruf konnten zu einem Namenwechsel führen.
Künstler und Gelehrte wählten neue Familiennamen nach ihrem Herkunftsort. Seit dem 17. Jh. erfolgen behördliche Verordnungen,um
  1. den Wechsel des Familiennamens zu unterbinden,
  2. die Zweinamigkeit durchzusetzen,
  3. die Schreibweise der Familiennamen zu sichern.

Die fünf Gruppen der Familiennamen
Familiennamen wurden aus fünf Bereichen geschöpft :
  1. Patronyme, -nymika (Vaternamen). Personen wurden nach dem Rufnamen ihres Vaters benannt:
    Hans Petersohn, Karl Friedrich(s).
    Metronyme, -nymika, d. h. von der Mutter abgeleitete Familiennamen, sind seltener:
    Meiensohn 'Sohn der Maria'.
    Manchmal können sich Familiennamen aus Rufnamen von anderen Verwandten, Dienstherren, Klosterpatronen usw. entwickeln. Kölner Familiennamen wie Quentin, Pantlen können z. B. auf Zugehörige der Klöster St. Quintin oder St. Pantaleon zu
    rückgehen. Sekundäre Patronymika sind Familiennamen, die nicht aus dem Rufnamen, sondern aus einer anderen Kennzeichnung des Vaters entstanden sind: wenn z. B. »Kurt, der Sohn des Bäckers« zu Kurt Beckers wurde.
  2. Herkunftsnamen. Zugezogene wurden nach ihrem Herkunftsort benannt: van Beethoven 'aus Betuwe' (in Belgisch-Limburg).
    Auch Namen nach der Herkunft aus einer bestimmten Landschaft, einem Land, einem Volk bzw. Stamm fallen in diese Kategorie:
    Allgaffer 'der aus dem Allgäu', Unger 'der Ungar', Böhm/Bea/Beheim 'der Böhme'.
  3. Wohnstättennamen. Einheimische wurden oft nach der Stätte benannt, an der sie wohnten:
    Dorer'der am Tor'.
    Eine Untergruppe bilden die Familiennamen, die aus Häusernamen abgeleitet sind: Lilje 'der im Haus zur Lilie'. Gruppe 2 und 3 sind oft schwer zu trennen. Ein Althaus oder Berg kann in einem alten Haus bzw, am Berg wohnen, aber auch aus einem der vielen Orte namens Althaus bzw. Berg zugezogen sein. Daher werden die Wohnstättennamen oft als Untergruppe der Herkunftsnamen behandelt.
  4. Berufsnamen. Personen wurden nach ihrer gesellschaftlichen Stellung benannt, bes. nach Stand und Beruf:
    Silcher 'der Fleischräucherer'. Direkte Berufsnamen wie Wagner bezeichnen den Beruf unmittelbar, indirekte nur mittelbar, z. B. nach einem charakterist. Werkzeug oder Merkmal dieses Berufes:
    Mehlhose den Müller, Hebel 'Sauerteig' den Bäcker, Hammer den Schmied.
    Indirekte Berufsnamen beziehen sich zwar auf den Beruf, aber in der Art von Übernamen. Oft sind sie von diesen nicht zu trennen und daher problemloser unter die nächste Gruppe einzuordnen,
    z. B. Kapp, was Übername für den Träger einer Mütze/eines Kapuzenkleides sein kann, aber auch indirekter Berufsname für deren Hersteller.
  5. Übernamen. Der Träger wird nach körperlichen, charakterlichen oder biographischen Eigenheiten benannt:
    Dörr 'der Dürre', Frahm 'der Tüchtige'.

Quelle: dtv-Atlas Namenskunde